Vom Hörgerät zum Gesundheitscoach im Ohr

Was einst als reine Hörhilfe begann, entwickelt sich zur intelligenten Gesundheitsplattform im Ohr. Sonova – Herstellerin der Phonak-Hörgeräte – treibt mit KI, Sensorik und modernster Chiptechnologie die Zukunft der personalisierten Gesundheitsversorgung voran. Stefan Launer ist seit über 30 Jahren stark verwurzelt mit der Stäfener Firma. In einem persönlichen Gespräch mit der SATW spricht er über die Notwendigkeit, die Audiotechnologie auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten.

Autoren: Daniel Gygax und Kaspar Eigenmann

Für Hörexperte und Innovator Stefan Launer ist das gesunde Ohr eines der eindrücklichsten Sinnesorgane. Es kann Töne, Gesprochenes und Geräusche zu elektronischen Impulsen verarbeiten. Diese werden im Gehirn interpretiert und können emotionale, körperliche oder kognitive Reaktionen auslösen. Dieser ausgeklügelte Prozess stellt den Hörakustiker:innen eine Fülle von physikalischen Parametern zu Verfügung wie Hörschwelle, Frequenz, Schalldruckpegel, Sprachverstehen, zeitliche Latenz und binaurale Differenz. Diese stehen am Anfang der Forschung und Entwicklung von neuen Funktionalitäten.

Hörgeräte enthalten in der Basisversion Mikrofon, Signalprozessor, Verstärker, Lautsprecher und Stromversorgung. Sie wandeln den eingehenden Schall in die für die Träger:innen noch hörbaren Frequenzbereiche um. Im Prozess der Produktoptimierung werden die Hörgeräte nun stetig mit neuen Funktionen bestückt, die auf den persönlichen Bedarf der Träger:innen ausgerichtet sind. So fokussieren sie heute beispielsweise auf sprechende Personen in geräuschvoller Umgebung. Dies gelingt durch Reduzierung von Hintergrundlärm oder starken Windgeräuschen und die Hervorhebung des Gesprochenen. Zudem verfügen heutige Geräte über eine Bluetooth-Verbindung und App-Steuerung.

Neue Chips für dynamische Hörumgebungen

Es erstaunt daher nicht, dass Sensoren ein grosses Thema sind für Sonova. So kann sich Stefan Launer gar vorstellen, dass wichtige Gesundheitsfaktoren wie beispielsweise Blutsauerstoff, Puls und Temperatur in Zukunft von Sensoren gemessen werden, die ins Hörgerät integriert sind.

Für die Anpassung der Hörgeräte an die Hörschädigung der Träger:innen und die aktuelle Hörsituation ist die Signalverarbeitung entscheidend. Hier wird neuerdings auch künstliche Intelligenz eingesetzt, was recht komplex ist und viel Strom braucht. «Dafür mussten wir einen speziellen Chip entwickeln», erklärt Stefan Launer. Die aktuellen Chiptechnologien der Phonak-Hörgeräte heissen ERA und Deepsonic. Rechenleistung und Speicherkapazität sind im neu gestalteten ERA-Chip erhöht. Dies sorgt für eine erheblich schnellere Reaktionszeit und somit für eine verbesserte Anpassung an wechselnde Hörsituationen. Der Deepsonic-Chip nutzt Echtzeit-KI, um in schwierigen Hörumgebungen das Sprachverstehen zu verbessern und kann sich automatisch an wiederkehrende Situationen anpassen.

«Die Sprache ist der soziale Klebstoff zwischen den Menschen – und dafür braucht es das Hören.»

Stefan Launer

Verzögerte Batterieentwicklung als Herausforderung

Die Stromversorgung ist seit der Herstellung des ersten Hörgeräts im Jahr 1950 eine andauernde Aufgabenstellung, vor allem weil die vielen neuen Funktionen Stromfresser sind – heute speziell auch KI. Die Batterieentwicklung hingegen ist über die letzten 100 Jahre linear mit einem langsamen Anstieg verlaufen. Dies im Gegensatz zur Mikroelektronik, die bezüglich Energieeffizienz einen exponentiellen Verlauf zeigt. Aus der Sicht von Stefan Launer sind auftretende Belastungsspitzen eine besondere Herausforderung, weil es schwierig ist, grosse Stromschwankungen in mikroelektronischen Geräten zu managen. Diese Belastungsprofile haben die Auswahl der Batterietechnologie sehr stark eingeschränkt. Der Strom kann zwischen einem Faktor 5 und 10 schwanken und das ist für eine Batterie schädigend. Bereits die ständige Anpassung an Hörsituationen hat einen Einfluss auf den Energiebedarf des Geräts. Die Geräte optimieren daher den Energieverbrauch durch adaptive Anpassung und Verstärkung, automatisches Ein- und Ausschalten je nach Bedarf und effizientes Bluetooth-Streaming.

Psycholog:innen optimieren das Zusammenspiel

Viele Herausforderungen haben mit den individuellen Bedürfnissen und Anlagen der Hörgerätebenutzer:innen zu tun. «Wir hatten ein Hörsystem das impulshaltige Schalle komplett löschen konnte. Eine Tennisspielerin teilte uns dann aber mit, dass das Feature zwar super funktioniere, sie das Hörgerät aber nicht brauchen könne, weil sie den Aufprall des Balls nicht mehr höre.» Die Teams der Bereiche User Experience and Usability Designer sowie Holistic Hearing Care bestehen denn auch aus technikorientierten Psycholog:innen, die die Bedienungsfreundlichkeit optimieren. Das ist deshalb wichtig, weil eine Schwierigkeit im Alltag beispielsweise darin besteht, wie Nutzer:innen dem Gerät mitteilen, dass sie die Stimme A und nicht die Stimme B hören möchten.

Vom Hörversorger zum Gesundheitsversorger

Sonova bietet Hörgeräte in allen Preisklassen an, wobei der Preis auch die Betreuung durch das Fachpersonal einschliesst. Wichtig ist es, eine Verminderung der Hörfähigkeit frühzeitig zu erkennen. «Die unversorgte Schwerhörigkeit führt zu viel höheren Gesundheitskosten», ist Stefan Launer überzeugt. Das gelte gerade in unserer alternden Bevölkerung. Eine Verbesserung der Hörfähigkeit erhöht die Lebensqualität und kann dazu beitragen, bestimmte Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz oder Depressionen früher zu erkennen oder besser zu kontrollieren.

Bei Hörverlust sollte auch die Gefässgesundheit überprüft werden, insbesondere bei Menschen mit unterschiedlichen Risikofaktoren. Ein Zusammenhang zwischen Gefässerkrankungen und Hörverlust ist Gegenstand von klinischen Studien. In diesem Sinne sieht sich Sonova zunehmend in einem grösseren Kontext und in einem Netzwerk von Gesundheitsversorgern.

Das Idealbild einer Schweizer Firma

Stefan Launer weist darauf hin, dass der Drang, Innovationen voranzutreiben, Teil einer tiefverwurzelten und gelebten Kultur bei Sonova sei. Das Motto heisse: «Ohni Lüüt gaht nüüt» und meint, dass ohne Menschen nichts funktioniere. Sonova hat dann auch den Mut zu investieren, denn für die Entwicklung der neusten Chip-Generation wurde ein 3-stelliger Millionenbetrag Schweizer Franken ausgegeben. Ein Grossteil der Forschung und Entwicklung dazu läuft in der Firma. Aber Sonova konnte auch von der Zusammenarbeit mit den beiden ETHs, Universitäten und Fachhochschulen profitieren.

Ebenso wichtig wie die Forschungskooperation sind die exzellenten Ausbildungsgänge, die in der Schweiz angeboten werden – von der Lehre bis zum Doktorat. Denn die Herstellung der Hörgeräte erfordert eine Vielzahl von Fähigkeiten, wie Grundkenntnisse über Akustik, Signalverarbeitung, Elektronik, Umgang mit spezifischer Software, Mikromontage, Löttechnik, handwerkliches Geschick, Programmiersprachen, Programmierung von Hörgeräten, Fehleranalysen, Prüfverfahren, Anpassung von Hörsystemen, 3D-Drucktechniken, Design von Komponenten und vieles mehr.

Sonova verkörpert eigentlich das Idealbild einer Schweizer Firma, denn sie orchestriert die Zusammenführung von handwerklichen, theoretischen und mentalen Fähigkeiten auf dem Weg von einer Idee zu einem wertvollen Produkt.

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