Grüne Technologien in Schweizer Bergregionen

Schweizer Bergregionen verfügen über Ressourcen, die für eine nachhaltige Wirtschaft zentral sind: Holz, Wasser, Sonne, Bioabfälle und CO₂ aus Industrieprozessen. Eine neue Analyse der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften zeigt am Beispiel Graubündens: Nicht nur die Rohstoffe sind vorhanden, es ergeben sich daraus auch wirtschaftliche Potenziale. Doch die Realität sieht anders aus. 90 Prozent des Holzes werden exportiert, Solaranlagen scheitern an Gemeindeversammlungen und an Bewilligungsverfahren. Das Fazit der Studie gilt für alle Schweizer Bergregionen: Die grössten Hindernisse sind nicht technischer, sondern gesellschaftlicher und politischer Natur. Zwischen Potenzial und Akzeptanz klafft eine Lücke.

Im Spätherbst 2024 lehnte die Gemeinde Tujetsch im Bündner Oberland den Bau einer alpinen Solaranlage ab. Zu gross die Bedenken um das Landschaftsbild, zu unsicher die versprochenen Einnahmen. Wenige Kilometer entfernt exportiert die Forstwirtschaft der Region seit Jahrzehnten 90 Prozent ihres Rundholzes nach Italien und verzichtet damit auf eine lokale Wertschöpfung von Millionen Franken. Gleichzeitig forscht die EMS-Chemie in Domat/Ems an biobasierten Kunststoffen, das Zementwerk Holcim in Untervaz an CO₂-reduzierten Betonsorten, und in Silvaplana vergärt eine Biogasanlage Hotelabfälle zu Energie.

Die Schweizer Bergregionen stehen vor einem Paradox. Sie verfügen über Ressourcen, die im Zuge der Dekarbonisierung der Wirtschaft an strategischer Bedeutung gewinnen: Holz, Wasser, Sonne, Bioabfälle, CO₂ aus Industrieprozessen. Gleichzeitig verursachen sie pro Kopf mehr CO₂-Emissionen als die urbanen Zentren in der Schweiz. Eine neue Analyse der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW untersucht am Beispiel Graubündens, welche Potenziale in grünen Technologien tatsächlich liegen und wo die strukturellen Hemmnisse verlaufen. Die Erkenntnisse sind auch auf andere Schweizer Bergregionen übertragbar und liefern eine Blaupause für deren Potenzial.

Ambivalente Ausgangslage

Die wirtschaftliche Ausgangslage in Graubünden weist Muster auf, die ähnlich auch auf die anderen Schweizer Bergregionen zutreffen dürften. In Graubünden arbeiten 70 Prozent der Beschäftigten in Branchen, die für grüne Technologien relevant sind. Diese Wirtschaftsklassen erwirtschaften knapp zwei Drittel der Bruttowertschöpfung. Parallel dazu verursacht der Kanton pro Kopf doppelt so viele CO₂-Emissionen wie der Schweizer Durchschnitt. Hauptursachen sind in Graubündendas Zementwerk in Untervaz, lange Verkehrswege, eine überdurchschnittliche Nutztierdichte und nicht zuletzt auch die zahlreichen Zweitwohunng. Ähnliche Strukturen finden sich in anderen Schweizer Bergregionen.

Alternative zu alpinen Solaranlagen

Die Energiestrategie 2050 sieht eine Vervierfachung der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen vor. Schweizer Bergregionen sollen dabei eine zentrale Rolle spielen. Alpine Photovoltaikanlagen geraten jedoch unter wirtschaftlichen Druck und leiden unter Akzeptanzproblemen. Von fünf bewilligten Projekten in Graubünden befinden sich lediglich zwei im Bau. Die SATW-Studie empfiehlt deshalb einen alternativen Ansatz, der für alle Schweizer Bergregionen relevant ist: Staumauern wie am Lago di Lei, Bergbahnstationen in Arosa oder Davos, Lärmschutzwände und Dachflächen in Chur bieten wirtschaftlich tragfähigere Standorte für die Produktion von Winterstrom. Eine weitere Chance sind Photovoltaikanlagen, die in die Fassaden von Gebäuden integriert sind. Auch wenn in Bezug auf Form und Farbe der Solarzellen bedeutende Fortschritte zu verzeichnen sind, stösst das Konzept in geschützten Ortsbildern auf Widerstand.

Dezentrale Biogasanlagen werden als unterschätztes Potenzial bewertet. Die Schweiz könnte 15 Prozent ihrer Erdgasimporte durch Vergärung von Hofabfällen ersetzen. In Schweizer Bergregionen mit zahlreichen kleinen Landwirtschaftsbetrieben wie in Graubünden, im Berner Oberland oder im Wallis wären die Voraussetzungen günstig. Die Biogasanlage Bio Energina in Silvaplana-Surlej zeigt die Machbarkeit. Die flächendeckende Verbreitung scheitert jedoch an Genehmigungsverfahren und fehlenden Geschäftsmodellen.

Beton und Holz im Fokus

Der Bausektor verursacht in der Schweiz 33 Prozent der CO₂-Emissionen. Schweizer Bergkantone könnten als Testmärkte für alternative Zementarten dienen. Die EPFL forscht an Limestone Calcined Clay Cement, die Empa an magnesiumbasierten Zementen. Zindel United produziert bereits Beton mit Pflanzenkohle.

Die Umsetzung hängt von Standards ab, die Bauherren in Ausschreibungen festlegen könnten. Kantone, Gemeinden und die SBB könnten Obergrenzen für die CO₂-Intensität definieren. Bislang fehlen solche Vorgaben allerdings in den meisten Bauprojekten.

Beim Holzbau zeigen sich ähnliche Dynamiken wie in vergleichbaren Bergregionen. 90 Prozent des Rundholzes aus Graubünden werden exportiert, Verzicht auf 40 Millionen Franken Wertschöpfung jährlich. Das Sägewerk Resurses in der Surselva setzt auf CNC-gesteuerte Anlagen und fördert die lokalen Rohstoffkreisläufe. Die Uffer Gruppe produziert modulare Holzbauten mit Robotertechnik. Die kritische Masse fehlt jedoch noch.

Kunststoffchemie bietet mittelfristige Perspektive

Kunststoffe verursachen 4,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen. Nur 0,5 Prozent werden aus nachwachsenden Quellen hergestellt. In Schweizer Bergregionen sind mehrere Komponenten für ein Ökosystem biobasierter Kunststoffe vorhanden: Rohstoffe aus Land- und Forstwirtschaft, Kläranlagen, CO₂ aus Industrieabgasen sowie erneuerbare Energie.

Die EMS-Chemie gilt als weltweit führend bei Hochleistungspolymeren. Die meisten Technologien befinden sich jedoch in der Grundlagenforschung. Der politische Druck ist geringer als bei der Energiewende, Anreize fehlen. Die Herstellung im Grossmassstab ist in der Schweiz kaum wettbewerbsfähig.

Die Studie deckt einen Zielkonflikt auf, der für alle Schweizer Bergregionen relevant ist: Bioabfälle, CO₂ und Holz werden in allen drei Technologiefeldern benötigt. Die Studie fordert eine Kaskadennutzung: Am Beispiel von Holz heisst dies konkret: zuerst bauen, dann für Bauzwecke wiederverwenden und erst ganz zum Schluss für die energetische Nutzung verbrennen.

Vergleich mit Nachbarregionen im Ausland

Tirol hat 2021 eine Klimastrategie mit konkreten Zielen verabschiedet: Bis 2030 sollen die Emissionen um 50 Prozent sinken, 150 Millionen Euro wurden bereitgestellt. Südtirol strebt mit dem Klimaplan 2040 Klimaneutralität an, 1,1 Milliarden Euro sind für 2021 bis 2027 mobilisiert. Vorarlberg verfügt über den Green Deal mit verbindlichen Investitionszusagen.

Das Green-Tech-Kompetenznetzwerk Graubünden befindet sich erst im Aufbau und wird vom Gewerbe getrieben. Graubünden hat als erster Bergkanton der Schweiz das Potenzial von Green Tech für sich entdeckt.

Die SATW-Studie belegt am Beispiel Graubündens, dass Schweizer Bergregionen über spezifische Ressourcen und industrielle Kompetenzen verfügen, die für grüne Technologien relevant sind. Die Analyse zeigt zugleich die Diskrepanz zwischen technologischer Machbarkeit und praktischer Umsetzung. Die grössten Herausforderungen liegen in der Koordination zwischen Akteur:innen und der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen. Die Erkenntnisse gelten für alle Schweizer Bergregionen. Die Erfahrungen in Tirol und Südtirol legen nahe, dass verbindliche Strategien die Umsetzung beschleunigen können.

Kurzfassung der Studie

Über die Studie

Die Standortanalyse «Green Tech: Chancen für den Kanton Graubünden» wurde von der SATW im Auftrag der Dachorganisationen Wirtschaft Graubünden erstellt. Autorinnen sind Claudia Schärer und Stefan Scheidegger. Die Erkenntnisse sind auf andere Schweizer Bergregionen übertragbar.

Vollständige Studie