Die Schweiz verfügt über ein starkes Bildungssystem und hochqualifizierte Fachkräfte. Doch in spezialisierten Nischenbereichen zeigen sich bereits heute Engpässe. Der Technology Outlook 2025 benennt konkret, welche Kompetenzen in vier zentralen Technologiefeldern gefragt sind und wo Handlungsbedarf besteht.
Im Bereich der Digitalisierung zeichnet sich ein differenziertes Bild ab. Während die Schweiz in den Grundlagen der Quantentechnologien gut positioniert ist, fehlt es an Absolventen in hochspezialisierten Bereichen. Für Photonische Integrierte Schaltkreise, das als Beispiel einer vielversprechenden Zukunftstechnologie, identifiziert die Studie den Mangel an qualifiziertem Personal als kritischsten Engpass für das Schweizer Ökosystem.
Diese Schaltkreise nutzen Licht statt elektrischer Signale zur Datenübertragung. Der Vorteil liegt in deutlich höheren Geschwindigkeiten bei gleichzeitig geringerem Energieverbrauch. In Rechenzentren können sie den Stromverbrauch um bis zu 30 Prozent senken. Auch in der Medizintechnik eröffnen sie neue Möglichkeiten, etwa für hochpräzise Biosensoren. Das Problem liegt in der spezifischen Kompetenzanforderung. Gesucht sind Fachkräfte, die optische Physik mit Halbleitertechnologie und Systemdesign verbinden können. Diese Kombination wird an Schweizer Hochschulen kaum gelehrt.
Konkret gefragt sind vertieftes Wissen in Netzwerkarchitekturen für Echtzeitkommunikation, Kenntnisse in Quantenalgorithmen und deren Anwendung sowie Expertise im Internet of Things. Besonders für Industrie 5.0 braucht es Fachkräfte, die nicht nur Maschinen bedienen, sondern aktiv an deren Weiterentwicklung teilnehmen.
Der Ansatz setzt bewusst den Menschen ins Zentrum. Mitarbeitende überwachen nicht mehr nur automatisierte Prozesse, sondern greifen bei Bedarf ein, treffen Entscheidungen und optimieren Abläufe gemeinsam mit KI-Systemen. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dies. In einer Produktionslinie erkennt eine KI eine Anomalie im Fertigungsprozess und schlägt drei mögliche Korrekturen vor. Der Mitarbeiter bewertet diese Vorschläge aufgrund seiner Erfahrung, wählt die geeignetste aus und gibt der KI Feedback. Diese lernt aus der Entscheidung und wird beim nächsten Mal präziser. Diese Form der Zusammenarbeit erfordert technisches Verständnis, aber auch die Fähigkeit, Prozesse kritisch zu hinterfragen und zu gestalten.
Für KMU bedeutet dies, der Übergang zu neuen Geschäftsmodellen erfordert entsprechende Kompetenzen in der Organisation. Die Studie empfiehlt eine gezielte Förderung von Talenten und den Aufbau von Innovationsökosystemen.
Im Energie- und Umweltbereich zeigt sich ein klarer Trend: Isoliertes Fachwissen reicht nicht mehr aus. Carbon Capture, Wasserstofftechnologien und Tiefengeothermie funktionieren nur im Gesamtsystem. Die Studie spricht hier explizit von Systemkompetenz als entscheidender Fähigkeit.
Konkret benötigt werden fundierte Kenntnisse in Verfahrenstechnik und Chemie, insbesondere für Kunststoff und Phosphorrecycling sowie für synthetische Kraftstoffe. Materialwissenschaften gewinnen an Bedeutung, ebenso Expertise im Anlagenbau. Für Wasserstofftechnologien werden Spezialistinnen und Spezialisten gebraucht, die Infrastruktur, Logistik und Anwendung über verschiedene Sektoren hinweg verstehen, von der Industrie über Mobilität bis zur Wärmeversorgung.
Ein Beispiel für die geforderte Integration zeigt sich im Kunststoffrecycling. Es braucht nicht nur Know-how in Verfahrenstechnik und Anlagenbau, sondern ein Bewusstsein für Rohstoffkreisläufe über die gesamte Wertschöpfungskette. Produktentwicklerinnen müssen mit Recyclingspezialistinnen zusammenarbeiten. Die Studie betont, es geht um das Verständnis vom Rohstoff über die Produktion und das Produkt bis zu den Serviceleistungen und dem Recycling.
Zwei Kompetenzfelder gewinnen dabei besonders an Bedeutung. Die Life Cycle Analysis bewertet die Umweltauswirkungen eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus. Ein Ingenieur, der eine neue Verpackung entwickelt, muss nicht nur deren Funktionalität prüfen, sondern auch berechnen, wie viel Energie die Herstellung verbraucht, welcher CO₂-Ausstoss beim Transport entsteht, wie lange das Material im Einsatz bleibt und ob es sich recyceln lässt. Ein konkretes Beispiel aus der Lebensmittelindustrie zeigt die Komplexität. Ein Hersteller wollte von Plastik auf Karton umsteigen, um nachhaltiger zu wirken. Die LCA-Analyse ergab jedoch, dass die Kartonverpackung aufgrund des höheren Gewichts beim Transport mehr CO₂ verursachte als die leichtere Plastikverpackung, deren Recycling bereits etabliert war. Diese ganzheitliche Bilanzierung wird zum Standard, um Produkte wirklich nachhaltig zu gestalten.
Parallel dazu wird CO₂-Monitoring zur Pflicht: Unternehmen müssen ihre Emissionen nicht nur messen, sondern auch dokumentieren und reduzieren. Das erfordert Fachkräfte, die Messtechnik beherrschen, Daten auswerten und Verbesserungsmassnahmen ableiten können. Eine Maschinenbaufirma muss beispielsweise erfassen, welche Emissionen beim Einkauf von Stahl entstehen, wie viel Energie die eigene Produktion verbraucht, welcher CO₂-Ausstoss beim Transport zum Kunden anfällt und was am Ende des Produktlebenszyklus passiert. Diese Daten müssen validiert und berichtet werden. In der Schweiz fehlt es noch an ausreichend ausgebildeten Personen, die diese Aufgaben übernehmen können.
Bei Fertigungsverfahren und neuen Materialien verschmelzen traditionelle Disziplinen mit digitalen Methoden. Die Entwicklung von Bioplastik aus Abfall beispielsweise erfordert chemisches Verständnis, Kenntnisse in Polymer und Materialwissenschaften sowie Fähigkeiten in der Mikrobiologie. Gleichzeitig werden Kenntnisse in der Prozess- und Systemmodellierung in Kombination mit künstlicher Intelligenz zunehmend wichtig.
Für 2D-Materialien müssen Fachkräfte Mikroelektronik und Energiegewinnung verbinden können. Bei der Entwicklung flexibler Batterien gilt es, Materialeigenschaften mit flexiblen Bauweisen zu kombinieren. Die Studie stellt fest, viele Technologien erfordern eine Verknüpfung von Materialentwicklung mit Anwendungsbereichen.
Die Schweiz hat hier eine starke Ausgangsposition mit ihrer Forschungskompetenz und hoch qualifizierten Fachkräften. In Nischenmärkten wie der Entwicklung synthetischer Perowskitkristalle sind Schweizer Forschungsgruppen und Startups führend. Allerdings reicht die Verfügbarkeit von Fachkräften oft nicht bis in die Managementebenen. Wenn sich die Technologien wie erwartet entwickeln, werden Fachkräfte zum limitierenden Faktor.
Im Life Sciences-Bereich vollzieht sich eine tiefgreifende Veränderung. Digitalisierung und Naturwissenschaften verschmelzen. Das zeigt sich am Arbeitsprinzip «Design, Build, Test, Learn», das in der synthetischen Biologie bereits Standard ist. Mit KI gewinnt dieser iterative Ansatz nochmals an Bedeutung.
In der Biokatalyse läuft der Prozess konkret so ab. Forschende entwerfen am Computer ein Enzym, das eine bestimmte chemische Reaktion katalysieren soll. KI-Systeme schlagen dabei Varianten vor, die besonders effizient sein könnten. Im nächsten Schritt wird dieses Enzym biochemisch hergestellt und seine katalytischen Eigenschaften getestet. Die Ergebnisse fliessen zurück ins System. Die KI lernt, welche Strukturen funktionieren und welche nicht, und schlägt optimierte Varianten vor. Dieser Zyklus wiederholt sich, bis das Enzym die gewünschten industriellen Anforderungen erfüllt.
Ein Schweizer Biotech-Unternehmen nutzt diesen Ansatz zur Entwicklung von Enzymen für die Waschmittelindustrie. Früher dauerte es zwei bis drei Jahre, bis ein neues Enzym marktreif war. Mit KI-gestützten Design und Test-Zyklen verkürzt sich diese Zeit auf sechs bis neun Monate. Fachkräfte müssen hier biochemisches Fachwissen, Datenanalysefähigkeiten und Verständnis für KI-Methoden gleichermassen mitbringen.
Bei der personalisierten Ernährung müssen Fachkräfte genetische, biochemische und klinische Daten auswerten können. Die Studie prognostiziert, dass Kompetenzen im Umgang mit KI-Anwendungen und digitalen Zwillingen entscheidend werden. Auch für KMU im Life Sciences-Bereich gehören Datenanalyse, der Umgang mit Big Data und digitale Zwillinge künftig zum Standardrepertoire.
Die Studie stellt klar, Firmen aus den Life Sciences müssen über Grundlagenwissen in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik verfügen. Das ist eine Verschiebung gegenüber dem traditionellen Profil, das primär auf biologisch-chemischer Expertise beruhte.
Über alle Technologiebereiche hinweg kristallisiert sich Interdisziplinarität als zentrale Anforderung heraus. Die Studie formuliert es präzise. Eine Fachperson aus den Life Sciences muss offen sein für die Denkweise von Ingenieuren, Informatikern und Materialwissenschaftlern und deren Ansätze und Problemlösungsfähigkeiten produktiv mit seiner eigenen verbinden – und natürlich auch umgekehrt.
Es geht ausdrücklich nicht darum, Fachwissen zu relativieren. Tiefe Expertise bleibt die Basis für Innovation. Entscheidend ist die Fähigkeit, sich mit der Denkweise anderer Disziplinen auseinanderzusetzen und diese zu verstehen. Interdisziplinäre Teams leben von diesen Fähigkeiten.
Die Schweiz bildet jährlich rund 80 Absolventen in Quantenphysik aus. Davon spezialisieren sich schätzungsweise 15 auf Quantenalgorithmen, jener Bereich, der für industrielle Anwendungen zentral ist. Gleichzeitig entstehen derzeit mehrere Dutzend Startups im Bereich Quantencomputing, und etablierte Unternehmen bauen entsprechende Abteilungen auf. Die Arithmetik geht nicht auf.
Ähnlich prekär zeigt sich die Situation bei Photonischen Integrierten Schaltkreisen. Die Studie bezeichnet den Personalmangel hier als kritischsten Engpass. Das Problem liegt in der spezifischen Kompetenzanforderung. Gesucht sind Fachkräfte, die optische Physik mit Halbleitertechnologie und Systemdesign verbinden können. Diese Kombination wird an Schweizer Hochschulen kaum gelehrt. Die ETH Zürich bietet zwar einzelne Module an, doch ein vollständiger Studiengang fehlt.
Bei der Tiefengeothermie existiert in der Schweiz kein spezialisierter Studiengang. Wer in diesem Bereich arbeiten will, muss Geowissenschaften, Energietechnik und Bohrtechnik in Eigenregie kombinieren. Das gelingt den wenigsten. Dabei plant der Bund bis 2050 einen massiven Ausbau der Geothermie. Wer die Anlagen bauen und betreiben soll, bleibt unklar.
Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat 2023 einen CAS in Circular Economy lanciert. Das Interesse übertraf die Erwartungen, die Plätze waren innert Wochen vergeben. Ähnliche Programme entstehen derzeit an der ZHAW und der Berner Fachhochschule. Diese Kurse vermitteln Life Cycle Analysis und Ökobilanzierung, Kompetenzen, die noch vor fünf Jahren als Nischenthema galten. Heute fragen KMU aus der Maschinenbauindustrie ebenso nach wie Lebensmittelproduzenten.
Die regulatorischen Rahmenbedingungen erschweren in einzelnen Bereichen die Fachkräfteentwicklung. Bakteriophagen, Viren, die gezielt Bakterien angreifen, gelten in der Medizin als vielversprechende Alternative zu Antibiotika. In Georgien und Belgien sind Phagentherapien zugelassen und werden routinemässig eingesetzt. In der Schweiz fehlt die Swissmedic-Zulassung. Behandlungen sind nur in Ausnahmefällen möglich. Entsprechend entwickelt sich keine Fachkräftebasis. Forschende, die auf diesem Gebiet promovieren, wandern häufig ab, weil sie in der Schweiz keine Anwendungsperspektive sehen.
Die benötigten Kompetenzprofile existieren am Arbeitsmarkt in zu geringer Zahl. Ein Biotechnologie-Unternehmen, das einen Biologen mit KI-Expertise und Ingenieurgrundlagen sucht, konkurriert mit Dutzenden ähnlich aufgestellten Firmen um eine Handvoll Absolventen. Die Rechnung geht nicht auf.
Erfolgreicher ist die systematische Erweiterung bestehender Kompetenzen. Ein promovierter Chemiker mit zehn Jahren Erfahrung in der Katalyseforschung lässt sich in einem Jahr in maschinelles Lernen einarbeiten. Das Resultat ist kein Data Scientist, sondern ein Chemiker, der algorithmische Methoden auf sein Fachgebiet anwenden kann. Der entscheidende Vorteil liegt in der Domänenexpertise. Der Chemiker erkennt, welche Fragestellungen sich algorithmisch lösen lassen und welche chemischen Parameter für ein Modell relevant sind. Ein Informatiker ohne chemischen Hintergrund müsste sich dieses Wissen über Jahre erarbeiten.
Die Studie dokumentiert eine strukturelle Schwachstelle im Schweizer Innovationssystem. Während Hochschulen exzellente Grundlagenforschung betreiben, erreicht dieses Wissen die industrielle Anwendung verzögert. Die Ursache liegt nicht in mangelnder Transferbereitschaft, sondern in fehlenden Übersetzungsleistungen. Ein KMU benötigt Antworten auf spezifische Produktionsfragen, keine wissenschaftlichen Papers. Diese Übersetzung erfordert Personen, die sowohl die Forschungslogik als auch die betriebliche Realität verstehen.
Einzelne Unternehmen entwickeln dafür neue Formate. Ein Westschweizer Medtech-Unternehmen beschäftigt einen Mitarbeiter, der zur Hälfte im Unternehmen arbeitet und zur Hälfte an der ETH forscht. Seine Funktion besteht explizit darin, aktuelle Forschungsergebnisse in konkrete Produktentwicklungen zu überführen. Ein Ostschweizer Textilunternehmen entsendet seine Verfahrenstechniker regelmässig für mehrwöchige Aufenthalte an Fachhochschulen. Dort erlernen sie neue Recyclingmethoden und konfrontieren gleichzeitig die Hochschule mit Praxisproblemen, die in der Forschung oft zu kurz kommen.
Der internationale Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte verschärft sich. Schweizer Gehaltsniveaus allein reichen nicht mehr als Argument. Junge Forschende bewerten zunehmend die inhaltliche Substanz von Projekten, die Möglichkeit zur Publikation und Weiterbildung sowie die wissenschaftliche Reputation des Arbeitsumfelds. Ein KMU, das ausschliesslich produktfokussiert arbeitet und keinen Raum für explorative Forschung lässt, wird Schwierigkeiten haben, Talente aus den Life Sciences oder der Materialforschung zu gewinnen. Die besten Kandidaten haben Alternativen, an Universitäten ebenso wie in forschungsintensiven Grossunternehmen.
Netzwerkarchitekturen für Echtzeitkommunikation, Quantenalgorithmen, Optische Physik kombiniert mit Halbleitertechnologie, aktive Gestaltung von Mensch-Maschine-Interaktionen.
Verfahrenstechnik und Chemie für Recyclingprozesse, Materialwissenschaften für Wasserstoff und Geothermie, Life Cycle Analysis, CO₂-Monitoring und Verifikation, Systemdenken über Sektoren hinweg.
Chemie und Mikrobiologie für Bioplastik, Prozessmodellierung mit KI, Integration von Sensoren in komplexe Systeme, Ökobilanzierung über die gesamte Wertschöpfungskette.
Datenanalyse und Big Data-Verarbeitung, Umgang mit KI-Anwendungen und digitalen Zwillingen, iterative Entwicklungszyklen nach dem Prinzip «Design, Build, Test, Learn», Grundlagenwissen in Ingenieurwissenschaften und Informatik.
Interdisziplinäres Denken, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg, Anpassungsfähigkeit an schnellen technologischen Wandel.
Autoren: Stefan Scheidegger und Claudia Schärer
Der Technology Outlook 2025 der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) analysiert die Kompetenzanforderungen in den Bereichen Digitale Welt, Energie und Umwelt, Fertigungsverfahren und Materialien sowie Life Sciences. Die vollständige Studie ist verfügbar unter technology-outlook.satw.ch/de/