Nach nur drei Jahren nutzte bereits über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung generative KI-Tools wie ChatGPT. Nie zuvor hat sich eine Technologie in der Schweiz so schnell verbreitet wie künstliche Intelligenz. Auch die Schweizer Wirtschaft verspricht sich viel davon. Generative KI könnte das BIP in den kommenden Jahren um bis zu 11 Prozent steigern.
Allerdings bringt diese schnelle KI-Adoption auch Risiken wie vermehrter Betrug durch KI-generierte Inhalte oder Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt mit sich. Diesen negativen Auswirkungen kann man zwar mit Regulierung begegnen. Neue Gesetze zu erarbeiten, braucht aber Zeit. Währenddem entwickelt sich die Technologie stetig weiter.
Mit dem AI Act setzte die Europäische Kommission am 1. August 2024 die weltweit erste umfassende KI-Regulierung in Kraft. Sie klassifiziert und reguliert KI-Systeme nach Risikostufen. Deren Erarbeitung erstreckte sich über mehrere Jahre. Einer der Stolpersteine dabei war die Geschwindigkeit, mit der sich KI entwickelt. So waren Systeme wie der im November 2022 lancierte ChatGPT im ersten Gesetzesentwurf kaum erfasst. Die Kommission musste nochmals über die Bücher.
Den AI Act zu verfassen, war ein enormer Aufwand. Doch damit ist es noch nicht getan. Denn um ihn anwenden zu können, braucht es auch sogenannte harmonisierte Standards: technische Normen, die helfen, die Anforderungen der Rechtsvorschriften konkret umzusetzen. Die Erarbeitung solcher Normen ist ein konsensbasierter Prozess, der Zeit braucht. Zeit, die der Kommission davonläuft. Denn mit dem Inkrafttreten des AI Act sind verbindliche Fristen verbunden.
Den Auftrag, diese Standards zu verfassen, hat das technische Komitee JTC 21 Artificial Intelligence gefasst. Weil es damit in Verzug ist, übt die Kommission Druck aus auf die Europäischen Standardisierungsorganisationen (SDO), European Committee for Standardisation (CEN) und European Committee for Electrotechnical Standardisation (CENELEC), denen JTC 21 angegliedert ist. Das technische Board der beiden SDOs hat reagiert und jüngst entschieden, die übliche Entwicklungszeit zu verkürzen, damit die Normen rechtzeitig bis Ende 2026 vorliegen.
Diese Entscheidung löste bei den Mitgliedern des JTC 21 scharfe Kritik aus. Sie sehen dadurch das Prinzip des Konsenses gefährdet. Die Entwicklung breitgestützter harmonisierter Standards sei nicht mehr möglich.
Die Erfahrungen mit dem EU AI Act sollten uns eine Lehre sein. Die Schweiz sollte nicht versuchen, künstliche Intelligenz umfassend, sondern so weit wie möglich sektorspezifisch zu regulieren. Das verringert die Komplexität, den Aufwand und das Risiko, von den laufenden Entwicklungen überholt zu werden.
Ein allfälliges Schweizer KI-Gesetz sollte sich auf etablierte internationale Standards abstützen. Es ist wenig sinnvoll, eine Regulierung zu erlassen, die sich in der Praxis nicht umsetzen lässt. Wir sollten uns nicht unnötig unter Druck setzen und riskieren, dass die Regulierung genau jene Prinzipien untergräbt, die sie eigentlich schützen soll: Transparenz, Inklusion und Vertrauen.
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