Ein nüchterner Blick auf den Mythos KI: Hund malt Bild – wem gehört es?

Digitalisierung Künstliche Intelligenz 14:00

Mit dem Aufkommen von KI-basierten Softwareapplikationen stellt sich vermehrt die Frage, wem von KI geschaffene Texte, Bilder, Musik oder ähnliche Erzeugnisse gehören. Diese Frage zu beantworten, fällt insofern schwer, als sie implizit das postuliert, was sie beantwortet haben möchte, nämlich dass KI etwas erschaffen kann. Es liegt demnach eine petitio principi vor, wie sie in KI-Diskussionen gelegentlich auftritt[1].

Unzutreffend gestellte Fragen führen selten zu zweckmässigen Antworten. Zwar garantieren auch gut gestellte Fragen keine zielführenden Antworten, aber sie bieten immerhin eine realistische Chance, dass die Suche nach einer Antwort einen gewissen Erkenntnisgewinn mit sich bring; sei es auch nur die Einsicht, dass ein verfolgter Lösungsansatz sich als falsch herausstellt.

Im vorliegenden Fall haben wir es mit dem Bild eines Hundes zu tun. Von Interesse ist also nicht so sehr, wem dieses Bild gehört, sondern vielmehr von wem es erschaffen worden ist; denn aus der Beantwortung der letzteren Frage, ergibt sich dann auch die Zuordnung des geistigen Eigentums am Bild.

Um besser zu erfassen, wie etwas erschaffen werden kann, erscheint es hilfreich, sich einige konkrete Beispiele vor Augen zu führen:

Beispiel 1

Ein Kunstmaler füllt Ölfarbe in drei Blechdosen ab und hängt jede Dose einzeln nacheinander an dieselbe Schnur, welche er an der Decke befestigt hat. Unterhalb der aufgehängten Farbdose legt er ein grosses weisses Blatt Papier auf den Boden. Anschliessend bohrt er ein kleines Loch in den Boden der Dose und gibt dieser von Hand einen Impuls, so dass sie mehr oder weniger kreisförmige Bewegungen ausführt und auf dem Papier eine entsprechende Farbspur hinterlässt. Sobald die Dose stillsteht, wiederholt der Kunstmaler dasselbe Prozedere mit den beiden anderen Farbdosen. Auf dem Papier entsteht auf diese Weise ein faszinierendes dreifarbiges Bild aus sich überschneidenden kreisförmigen Figuren.

Wer hat dieses Bild erschaffen? Die Farbe in den Blechdosen? Die Gravitationskraft der Natur? Der Kunstmaler durch Umsetzen einer naheliegenden Idee, wie man Bilder entstehen lassen kann? Man wird wohl zur letzten Antwort neigen.

Beispiel 2

Zwei Tage später sucht der Kunstmaler nach neuer malerischer Inspiration. Er legt erneut ein grosses weisses Blatt auf den Boden, füllt drei Farbkübel mit je einer Farbe und holt seine Gans Gerda aus dem Garten. Er taucht deren Füsse in einen der Farbkübel und lässt sie auf dem Papier frei umherwatscheln. Anschliessend wiederholt er dieses Vorgehen mit den beiden anderen Farbkübeln. So entsteht auf dem Papier ein dreifarbiges Durcheinander von Gänsefussabdrücken, aus denen das phantasiebegabte Auge künstlerische Figuren erkennt oder jedenfalls zu erkennen glaubt.

Wer hat dieses Bild erschaffen? Die Gans oder der Kunstmaler? Man wird wohl Letzteres annehmen.

Beispiel 3

Am darauffolgenden Tag kommt die Tochter des Malers mit ihrem dreijährigen Sohn zu Besuch ins Atelier des Vaters. Tochter und Vater haben sich viel zu erzählen und während beide ins gemeinsame Gespräch vertieft sind, benutzt der Knabe die günstige Gelegenheit, um in die Farbtöpfe seines Grossvaters zu greifen und auf einer bereitstehenden Leinwand mit blossen Händen farbenfrohen Kleckse zur hinterlassen.

Wer hat dieses Bild geschaffen? Der Knabe selbst? Seine unachtsame Mutter? Sein Vater oder sein Grossvater, der Kunstmaler? Man wird wohl annehmen, dass das Kind das Bild erschaffen hat.

Beispiel 4

Der Kunstmaler nimmt oftmals seinen treuen Hund Dada mit ins Atelier. Diesem hat er im Laufe der Zeit beigebracht, einen Malerpinsel mit der Schnauze zu fassen, in Farbkübel zu tauchen und den Pinsel auf einer Leinwand hin und her zu bewegen. Auf entsprechenden Befehl des Malers entsteht auf diese Weise ein mehrfarbiges Durcheinander von Farbklecksern, Strichen und Punkten, die bei längerer Betrachtung ein Gefühl der Unbeschwertheit aufkommen lassen.

Wer hat dieses Bild geschaffen? Der Hund oder der Maler? Spontan mag man gewisse Zweifel haben.

Beispiel 5

Die Frage, ob sein trainierter Hund Dada oder er selber das Bild gemalt hat, geht dem Kunstmaler nicht mehr aus dem Kopf. Je länger er darüber nachdenkt, desto tiefer fällt er in eine Schaffenskrise, weil der Gedanke, dass sein eigener Hund ebenfalls Kunstmaler sein könnte, ihn einerseits fasziniert, anderseits aber sein künstlerisches Selbstverständnis in Frage stellt. Er sucht deshalb nach neuen Wegen der Inspiration und findet sie im Internet, wo er auf eine KI-Applikation stösst. Spasseshalber tippt er die Worte „dog paints a painting“ ein und stellt einigermassen überrascht fest, dass nach einem Moment das oben abgedruckte Bild eines malenden Hundes auf dem Bildschirm erscheint. Sofort schiesst ihm der Gedanke durch den Kopf: Wer hat dieses Bild geschaffen? Er selbst? Die KI-Applikation? Die KI-Entwickler:innen oder die Erzeuger:innen der verwendeten Trainingsdaten? Man wird wohl ernstlich zweifeln…

Die vorgenannten Beispiele illustrieren, wie der Mensch unterschiedliche Mittel einsetzt, um etwas zu erschaffen. Im Beispiel 1 wird die natürliche Gravitations- und Corioliskraft benutzt, um mit Farbdosen gleichförmige Linienmuster auf Papier zu bringen. Im Beispiel 2 führen instinktive Bewegungen eines (nicht rechtsfähigen) Tieres und in Beispiel 3 der Spieltrieb eines (rechtsfähigen, aber urteilsunfähigen) Kleinkindes zu einem zufälligen Farbmuster. Im Beispiel 4 erzeugt ein dafür trainiertes Tier auf entsprechenden Befehl hin farbige Strukturen auf einer Leinwand und in Beispiel 5 generiert eine mit grossen Datenmengen trainierte KI-Applikation auf Anweisung hin ein digitales Bild.

Wer hat nun in diesen fünf Beispielen ein urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen? Gemäss dem in der Schweiz herrschenden «Schöpferprinzip («principe de la création») schützt das Urheberrecht natürlichen Personen, die eine individuelle immaterielle Leistung und damit ein geistiges Werk geschaffen haben.

a) Im Beispiel 1 trifft dies auf den Kunstmaler ohne Weiteres zu. Er benutzt zwar die Anziehungs- und Rotationskraft der Erde, um ein farbiges Bild auf dem Papier entstehen zu lassen, dieses resultiert aber aus einem von ihm ausgedachten und umgesetzten Verfahren, aus welchem eine individuell gestaltete Leistung hervorgeht.

b) Ähnlich verhält es sich im Beispiel 2: Die Gans Gerda ist kein Rechtssubjekt, dem Urheberschaft zukommen könnte. Vielmehr dient sie dem Maler als Hilfsmittel, um ein farbiges Gemälde herzustellen. Zwar ist das Watscheln der Gans auf dem Papier – im Unterschied zur Erdanziehungskraft – zufälliger Natur, aber namentlich die Wahl der Farbkübel und das Platzieren der Gans auf dem Papier sind gestalterische Tätigkeiten des Malers, die sich im resultierenden Farbmuster als individuelle Leistung niederschlagen.

c) Im Beispiel 3 ist das Kleinkind als Urheber der mit blossen Händen erzeugten Farbmuster auf der Leinwand zu betrachten. Jeder natürlichen Person, die ein geistiges Werk tatsächlich hervorgebracht hat, kommt Urheberschaft zu, unabhängig davon, ob sie urteilsfähig bzw. handlungsfähig ist. Die Schöpfung wird als rein faktischer und nicht rechtsgeschäftlicher Akt verstanden, weshalb seitens des Urhebers kein spezifisches Schöpfungsbewusstsein vorhanden zu sein braucht; es genügt der Wille zur Tätigkeit, aus welcher das Werk hervorgeht.

d) Im Beispiel 4 unterscheidet sich der Hund Dada insofern von der Gans Gerda (Beispiel 2), als der Hund vom Maler dazu spezifisch trainiert worden ist, mit einem Pinsel Farbe auf die Leinwand zu bringen. Die Urheberschaft steht auch hier dem Maler zu, da er den Hund (als nicht rechtsfähiges Wesen) als Hilfsmittel für einen gestalterischen Akt einsetzt.

e) Im Beispiel 5 verwendet der Kunstmaler eine im Internet frei verfügbare (also nicht von ihm geschaffene[2]) KI-Applikation. Das obige Bild des malenden Hundes entstand durch die Eingabe der Worte «dog paints a painting»; den Rest besorgte die mit grossen Datenmengen trainierte KI-Applikation. Ist dennoch der Kunstmaler als Urheber des digitalen Bildes zu betrachten?
Für diese Betrachtungsweise spricht, dass ohne die Auswahl einer bestimmten KI-Applikation und ohne die konkrete Anweisung des Kunstmalers, das digitale Bild nicht bzw. nicht so entstanden wäre, wie es nun tatsächlich existiert. Der Kunstmaler hat im Wesentlichen statt mit Pinsel und Ölfarbe zu arbeiten, eine KI-Applikation als neues Hilfsmittel eingesetzt. Eine gewisse gestalterische Tätigkeit des Malers, die sich im individuellen Charakter des digitalen Bildes niederschlägt, ist weiterhin vorhanden. Dies etwa im Unterschied zur Eingabe der Multiplikation «13 x 13 =» in einen Taschenrechner, wo das Resultat stets «169» lauten wird unabhängig von der Person und dem verwendeten Taschenrechner.

Was wären die Alternativen zur Urheberschaft des Kunstmalers? Der Entwicklerin einer KI-Applikation die Urheberschaft an allen Ergebnissen zuzusprechen, die durch die Verwendung ihrer Applikation hervorgebracht werden, würde letztlich bedeuten, analog auch der Herstellerfirma von Pinsel und Ölfarbe die Urheberschaft an allen damit gemalten Gemälden zuzuerkennen. Beides ist weder realistisch noch sinnvoll.
Noch weniger realistisch wäre es, von einer Urheberschaft der Erzeuger:innen der verwendeten KI-Trainingsdaten auszugehen, da diese Urheber:innen kaum je individuell identifizierbar sein dürften und zudem noch weiter entfernt sind vom Entstehungsprozess des digitalen Bildes des malenden Hundes als die KI-Entwicklerin selbst.

Nüchtern betrachtet ist deshalb der plausibelste Ansatz, die Urheberschaft – wenn überhaupt – dem Kunstmaler zuzuordnen, soweit dieser eine KI-Applikation als blosses Hilfsmittel[3] für seine künstlerische Tätigkeit einsetzt. Das nimmt zwar dem Begriff «KI» etwas von seiner – teilweise fast mystischen – Aura, etwas völlig Neuartiges zu sein, aber die Lösung konkreter Probleme in unserer Gesellschaft sollte eigentlich auch ohne Mystik möglich sein.


[1]     Siehe Blog 2 zum Problem des automatisierten Autos.

[2]     Klassische, in Computersprache geschriebene Softwareprogramme sind keine eigentlichen Werke, werden aber vom Gesetzgeber diesen gleichgestellt. Ob bzw. inwieweit KI-Applikationen ihrerseits den Computerprogrammen gleichgestellt werden können oder sollen, ist noch nicht hinreichend geklärt.

[3]     Der Begriff « Hilfsmittel » impliziert, dass dessen Benutzer damit ein Werk individuellen Charakters schafft, d.h. es muss «sein» und nicht bloss «ein» Werk sein. Wer z.B. einen Text mit einer KI-App übersetzen lässt und anschliessend die Übersetzung überarbeitet, schafft seinen eigenen Text und ist dessen Urheber. Falls er den Text unverändert lässt, bedarf es für seine Urheberschaft eines Nachweises anderer Faktoren, die der Übersetzung einen individuellen Charakter verleihen (z.B. Gestaltung und Struktur des Textes, Auswahl oder Konfiguration der Applikation).

Auszug aus dem Urheberrechtsgesetz

Art. 2 Werkbegriff

1   Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.

2   Dazu gehören insbesondere:

a. literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;

b. Werke der Musik und andere akustische Werke;

c. Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Graphik;

d. Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;

e. Werke der Baukunst;

f. Werke der angewandten Kunst;

g. fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;

h. choreographische Werke und Pantomimen.

3   Als Werke gelten auch Computerprogramme.

3bis Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.

4   Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.

Art. 6 Anerkennung der Urheberschaft

Urheber oder Urheberin ist die natürliche Person, die das Werk geschaffen hat.

Die Blogbeiträge dieser Serie bieten eine interdisziplinäre Betrachtung der aktuellen KI-Entwicklung aus technischer und geisteswissenschaftlicher Perspektive. Sie sind das Ergebnis eines wiederkehrenden Austauschs und der Zusammenarbeit mit Thomas Probst, emeritierter Professor für Recht und Technologie (UNIFR), sowie SATW-Mitglied Roger Abächerli, Dozent für Medizinaltechnik (HSLU). Mit diesen monatlichen Beiträgen streben wir eine sachlich neutrale Analyse der wesentlichen Fragen an, die sich im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI-Systemen in verschiedenen Anwendungsbereichen ergeben. Unser Ziel ist es, einzelne Aspekte des KI-Themas verständlich und fachlich fundiert zu erläutern, ohne dabei zu technisch ins Detail zu gehen.