Früherkennung: Ein zukunftstaugliches Ernährungssystem

Food Foresight 15:00

Der Wettbewerb in der Lebensmittelindustrie ist hart: Die Preise sinken – die Qualitätsansprüche steigen. Um künftig bestehen zu können, braucht die Schweizer Lebensmittelindustrie ein neues Innovations- und Qualitätskonzept. Darum geht es im fünften Blog-Beitrag zum diesjährigen Früherkennungsbericht.

Der Wettbewerb in der Lebensmittelindustrie ist hart: Die Preise sinken – die Qualitätsansprüche steigen. Um künftig bestehen zu können, braucht die Schweizer Lebensmittelindustrie ein neues Innovations- und Qualitätskonzept. Darum geht es im fünften Blog-Beitrag zum diesjährigen Früherkennungsbericht.

Die zunehmend globalisierte Lebensmittelindustrie ist hoch kompetitiv. Damit Schweizer Produzenten langfristig im Markt bestehen können, braucht die hiesige Industrie ein neues Innovations- und Qualitätskonzept unter Einbezug neuster Technologien.

Konsumentenforderungen erfüllen

Der Qualitätsbegriff umfasst bei Lebensmitteln neben sensorischen und nutritiven Eigenschaften vermehrt auch Natürlichkeits- und Nachhaltigkeitsaspekte. Massstab ist u.a. auch das immer stärker zu gewichtende Konsumentenvertrauen. Konsumentinnen und Konsumenten verlangen Sicherheit bezüglich allfälliger mikrobiologischer oder chemischer Kontamination sowie Nachweise über Authentizität und Natürlichkeit der Lebensmittel und deren Rückverfolgbarkeit. Hier entstehen Geschäftsmodelle für Überwachung und Personalisierung von Produkten sowie für Möglichkeiten zur Selbstkontrolle hinsichtlich Lebensmittelfunktionalität. Im Kontext der personalisierten Medizin könnten Letztere das Präventivpotential einer personalisierten Ernährung zur Verbesserung der Volksgesundheit und Reduktion der Gesundheitskosten nutzen. Dafür sind zwei Voraussetzungen zu schaffen: (1) Eine stärkere Integration der Wertschöpfungskette (Primärproduktion, Lebensmittel-Verarbeitung, -Verpackung, -Lagerung und -Distribution, Gastroservice, Essenszubereitung, Analytik/Kontrolle von resultierenden Ernährungs-, Performance- und Gesundheitsaspekten) sowie (2) deren effizientes Zusammenspiel mit technologisch relevanten innovativen/disruptiven Integrationsfaktoren. Dazu gehören z.B. Additive Fertigung, Internet of Things/Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Robotik, Sensorik sowie System- und Prozessoptimierung.

Gemeinsame Anstrengungen sind nötig

Die Digitalisierung der Lebensmittel-Wertschöpfungskette ist eine grundlegende Rahmenbedingung für ein zukunftsfähiges «Swiss Food System 4.0» unter Einbezug der Verbraucher. Hierzu ist ein industrieller «Data Space» aufzubauen, der eine sichere und effiziente Kommunikation unter Wahrung der Daten-Souveränität zwischen den Akteuren in der Wertschöpfungskette ermöglicht. Auf dieser Grundlage ist eine umfassende digitale Lebensmittel-Datenbasis zu schaffen. Adäquat als Web-Applikation aufbereitet, kann sie Verbrauchern helfen, eine möglichst unabhängige produktbezogene Qualitäts- und Funktionalitätskontrolle vorzunehmen. Die oben genannten Technologiebereiche sind in der Schweiz sehr gut repräsentiertet. Ihre Integration in die Lebensmittelbrache ermöglicht die Herstellung nutritiv und kulinarisch hochwertiger Lebensmittel unter optimierter Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- und Natürlichkeitsaspekten. Dies würde helfen, Probleme von regionaler und globaler Relevanz lösen zu können. Davon darf man sich ökonomisch interessante Hightech-Entwicklungen versprechen.

Die Lebensmittel-Wertschöpfungskette ist ferner prädestiniert, die Mensch-Technologie-Schnittstellen in die Systementwicklung verstärkt einzubeziehen. Dabei gilt es, den Konsumenten und seine Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen. Dies böte Chancen, die Wertschätzung für Lebensmittel zurückzugewinnen, Technologieängste abzubauen und der Präferenz für Billigangebote ohne vergleichbaren Qualitätsnachweis entgegenzuwirken. Nicht zuletzt sollte dies auch die Reduktion von «Lebensmittel-Abfall» unterstützen können. Die Entwicklung eines «Swiss Food Systems 4.0» setzt eine konzertierte Aktion aller Akteure entlang der Wertschöpfungskette voraus. Dass es als Leitlinie einer strategischen Forschungs- und Entwicklungsagenda 2030 für die Ernährungswirtschaft in der Schweiz bedarf, haben Gespräche mit zahlreichen industriellen Akteuren bestätigt. Der Wille zur konzertierten Aktion ist grundsätzlich vorhanden, nun gilt es einen Umsetzungsplan zu konzipieren. Zudem müssen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten für das Zusammenwirken der verschiedenen Technologien, der Lebensmittel-Wertschöpfungskette sowie der tangierten Bereiche (z.B. Ernährungsmedizin, Sozialwissenschaften) geschaffen und unterstützt werden. Das «Swiss Food Systems 4.0» soll die Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung der Schweizer Lebensmittelindustrie verbessern, die Produktqualität steigern, die Transparenz für Konsumenten erhöhen und dadurch neue Nachfrage im In- und Ausland erzeugen.

Algen und Insekten liefern günstig Proteine

Im Hinblick auf ein zukunftstaugliches globales Ernährungssystem zählt naturgemäss nicht nur das wie, sondern auch das was. Zum Beispiel boomen Ansätze zur Exploration kostengünstiger Quellen für Proteine und anderer wichtiger Komponenten für die menschliche Ernährung auf Basis von Algen und Insekten. Erste gesetzliche Hürden wurden hierzulande bereits genommen. Bis westliche Industrieländer Insekten als Lebensmittel akzeptieren, dürfe es aber noch dauern – ganz im Gegensatz zu Regionen in Afrika und Asien, wo es entsprechende Traditionen gibt. Die Akzeptanz von Insektenprotein als Tierfutterkomponente dürfte hingegen kurz bis mittelfristig erreicht werden. Passende industrielle Verarbeitungstechnologien sind aber erst rudimentär entwickelt. Hier bestehen konkrete Chancen für den Schweizer Maschinen- und Anlagenbau.

Der Autor

Prof. Erich Windhab ist seit April 1992 Professor für Lebensmittelverfahrenstechnik am Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften der ETH Zürich. Er promovierte an der Universität Karlsruhe und war im Verlauf seiner Karriere u.a. Inhaber einer eigenen Ingenieursfirma, baute im Auftrag des Landes Niedersachsen und der Volkswagenstiftung das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) mit auf und war Lehrbeauftragter an der TU München. Seit 2013 ist er Experte für die SATW und seit 2016 leitet er die Themenplattform Lebensmitteltechnologie.

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