Plastik-Überschuss und Plastik-Mangel: Mögliche Wege aus der Krise

Energie und Umwelt 15:45

Der weltweite Plastikbestand kennt zwei Extreme und hat in beiden Fällen dramatische Auswirkungen. Auf der einen Seite kennen wir das Zuviel an Plastik und erinnern uns an die Bilder von Gewässern, die mit Plastikmüll verschmutzt sind. Auf der anderen Seite ist die Produktion von Covid-19-Impfstoffen wegen einem Mangel an Plastik gefährdet.

Anfang 2021 kursierten in den Medien Bilder aus Serbien, wo die Oberfläche des Potpeć Reservoirs praktisch vollständig von einer Schicht Plastikabfall bedeckt war. Der Grund dafür waren Hochwasser, die Plastikmüll aus Deponien in die Flüsse und schliesslich in den Stausee spülten. Auf der anderen Seite stockt der Nachschub an Kunststoff-Rohmaterialien wie Polyethylen oder Polypropylen.  Dieser verursachte in den letzten zwölf Monaten regelmässig Engpässe bei der Produktion von Verpackungsmaterial, Kaffeekapseln, Joghurtbechern, Druckerpatronen und Bioreaktoren für die Impfstoffherstellung. Seit gut 20 Jahren werden in der biotechnologischen Produktion Einwegbioreaktoren (sogenannte «single use (bio)reactors») bis 4'000 Liter aus Kunststoff eingesetzt. BioNTech, Pfizer, Moderna oder Novavax produzieren Covid-19-Impfstoffe in solchen Einwegbioreaktoren. Diese sind ausgerechnet jetzt Mangelware.   

Der Grund für diese Probleme ist ein ähnlicher, wie wir ihn bereits für den Medikamentenmangel in der Schweiz beschrieben haben (siehe SATW Blog «Corona-Pandemie als Auslöser für Veränderungen in der pharmazeutisch-chemischen Industrie?»: Wir sind abhängig von anderen Ländern und Industrien. Im Falle von Plastik besteht diese Abhängigkeit gegenüber erdölfördernden Ländern und der Petrochemie.

Die Frage ist nun, ob mit Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen in Zukunft solche Engpässe in der Schweiz verhindert werden könnten. In der Schweiz werden laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) pro Jahr rund eine Million Tonnen Kunststoffe verwendet und knapp ein Drittel davon für Verpackungen. Etwa 570'000 Tonnen werden in langlebige Produkte verarbeitet. Eine kleine Erfolgsgeschichte sind die Mulchfolien in der Landwirtschaft. Von den 300 Tonnen, die in der Schweiz pro Jahr zum Einsatz kommen, sind 80 Tonnen bereits aus biologisch abbaubaren Folien (sogenannten Biofolien). Diese sind nach dem Unterpflügen im Herbst im darauffolgenden Herbst bereits zu 70 Prozent abgebaut.     

Seit 2018 beschäftigt sich die Fachgruppe Biotechnologie der SATW zusammen mit Roger Marti (HES SO Fribourg) und Manfred Zinn (HES SO Sion) mit dem Thema Biopolymere und hat als Orientierungshilfe das SATW «Factsheet Bioplastic» formuliert. In einem ersten Forum im November 2018 zeigte sich, dass die Beteiligten kaum Kenntnisse über Biopolymere haben und noch keine «Roadmap Swiss Biopolymers» entwickelt wurde. Das Thema ist komplex und es gibt viele offene Fragen zu Bereichen wie Märkte (Verpackung bis MedTech), Rohmaterialien, Produktionsmethoden und Verfahrenstechnik, Praxistests, Kennzeichnung, Nachhaltigkeits-Standards, Gesetzgebung, Regulierung, Wirtschaftlichkeitsbewertung oder politischen Direktiven.

In einem zweiten Forum im November 2019 wurde deshalb beschlossen, sich auf Grund der thematischen Komplexität auf Bioplastik in der Lebensmittelverpackung zu konzentrieren. Die Gruppe wurde für diesen Zweck mit dem Experten Selçuk Yildirim (ZHAW Wädenswil) erweitert. Das für März 2021 geplante Forum «Biopolymers in food packaging» musste jedoch abgesagt werden. Der Hauptgrund dafür war nicht Corona, sondern dass die meisten der Eingeladenen sich zurückhielten. Die grossen Detailhändler zeigten wenig Interesse an unserem geplanten Workshop. Zwar ist Verpackung- und Plastikreduktion bei Migros, Coop und den anderen Grossdetaillisten ein Thema, und alle haben in der Schweiz kumuliert wahrscheinlich gegen 50'000 Tonnen Verpackungsmaterial ersetzt oder weniger gebraucht. Aber Bioplastik wird noch nicht als attraktive Alternative zu erdölbasiertem Kunststoff gesehen. Die Ökobilanzen von Bioplastik beispielsweise aus Stärke wie auch dessen Herstellung und Entsorgung wird zu Recht schlechter beurteilt als das erdölbasierte Plastik.

 Obwohl wir Biopolymere in der Lebensmittelverpackung als Einstieg gewählt haben, wollen wir früh makroökonomische Entwicklungen und grundsätzliche Aspekte in unsere Diskussionen miteinbeziehen. Es braucht eine weitsichtige und unternehmerische Betrachtung.  

  • Bioplastik mach nur Sinn, wenn es aus nicht essbaren Rohstoffen hergestellt wird. IKEA beispielsweise macht Werbung für Schüsseln auf Basis von Mais, was nicht sinnvoll ist. Würde man die weltweit produzierten 400 Millionen Tonnen Plastik aus Mais produzieren, bräuchte man dazu über 130 Prozent der jährlichen globalen Maisernte.
  • Anstelle einer nationalen Lösung ist ein Produktionsverbund mit den europäischen Nachbarn für eine angemessene Versorgungssicherheit zielführender.
  • Die Schweiz mit ihren sehr beschränkten Rohstoffmöglichkeiten sollte sich auf die Produkt- und Verfahrensentwicklung konzentrieren. Es gibt mittlerweile unzählige Verfahrensmöglichkeiten und Varianten, um Biopolymere oder Composites herzustellen. Die nicht ölbasierten Rohmaterialien reichen von vielen verschiedenen nachwachsenden Rohstoffen bis hin zu CO2.
  • Das «Life Cycle Costing» der verschiedenen Verfahren und Produkte muss standardisiert berechnet werden.
  • Bei dem Wechsel von erdölbasierten auf erneuerbare Energieträger müssen Raffinerien zwangsläufig zurückgefahren werden. Das wird langfristig grosse Veränderungen in der petrochemischen Wertschöpfungsketten haben. Auch die erdölbasierte Plastikindustrie wird betroffen sein. Wie entwickeln sich Preise und Produktionsmengen, und was sind die Konsequenzen für die Produktion von Biopolymeren?

Zu guter Letzt hat die SATW beschlossen, am Ideenkontest «NTN Innovation Booster Swiss Food Ecosystems» teilzunehmen. Uns interessieren vor allem zwei Fragen: Was können Biopolymere für eine nachhaltige und innovative Lebensmittelverpackung beitragen und wie? Welche Typen von Biopolymeren kommen dafür in Frage?

Sind Sie interessiert, mit uns an diesem Thema zusammenzuarbeiten?  Dann kontaktieren Sie uns!

Hans-Peter Meyer

SATW Mitglied, Leiter der Fachgruppe Biotechnologie