Frauen in Technik und Informatik - Potential nutzen

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Erfahrungsaustausch über die Förderung von Mädchen und Frauen in MINTs: Das war das Ziel der SATW-Tagung vom 29. Januar in Bern.

Erfahrungen in der MINT-Förderung von Mädchen und Frauen austauschen: Das war das Ziel der SATW-Tagung vom 29. Januar in Bern. Die Veranstaltung richtete sich an MINT-Projektträger, Fachkräfte aus dem Bereich der Bildung sowie an Akteurinnen und Akteure ausserschulischer Lernorte, Berufsverbände und Organisationen, die MINT-Projekte unterstützen.

Der SATW-Generalsekretär Rolf Hügli begrüsste die 200 Teilnehmenden aus allen Regionen des Landes und erinnerte an das Engagement der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW im Bereich Nachwuchsförderung. Mittels ihrer verschiedenen Programme ist die SATW in der Förderung technischer Berufe bei Jugendlichen aktiv: TecDays, Sportech, Technoscope, educaMINT und speziell für Mädchen über das Mentoring-Programm Swiss TecLadies.

Der Veranstaltungspartner der Tagung, das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, wurde von seiner Direktorin Sylvie Durrer vertreten. Sie nutzte die Gelegenheit, die anwesenden Projektträger zu beglückwünschen. Das EBG verfügt über ein Budget von CHF 4.5 Mio. pro Jahr zur Förderung der Gleichstellung und fördert aktuell rund 70 laufende Projekte.

In einer Zeit, in der die Digitalisierung sich immer stärker auf die Arbeitswelt auswirkt, erinnerte Frau Durrer an die Notwendigkeit, die Gender-Thematik in diese Entwicklung einzubeziehen. Wird die Digitalisierung dazu beitragen, die Geschlechterungleichheiten zu beseitigen oder besteht im Gegenteil das Risiko, dass sie verstärkt werden? «Die Gleichstellung geht alle an. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass die Digitalisierung ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis hemmt, weil wir vergessen, sie in unsere Überlegungen einzubeziehen» betonte die EBG-Direktorin.

Marianne Ochsenbein, wissenschaftliche Mitarbeiterin des EBG, gab einen Überblick über die den Projektinitiatoren angebotenen Finanzierungen. In den vergangenen drei Jahren hat das EBG knapp CHF 2.5 Mio. in Programme zur Förderung von Frauen in den MINT-Fächern investiert. 

 

Im Anschluss stellten Beatrice Miller und Edith Schnapper von der SATW als Gast Prof. Renate Kosuch vom Institut für Geschlechterstudien in der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften in Köln vor. In einem anschaulichen Vortrag schilderte sie ihre umfangreichen Erfahrungen im Bereich der Förderung des MINT-Nachwuchses bei Mädchen und Frauen. Die Lehren, die sie aus der praxisorientierten Forschung zieht, lassen sich in fünf Hauptthesen zusammenfassen:

  1. Es ist darauf zu achten, dass die Massnahmen zur Nachwuchsförderung nicht dazu beitragen, die Stereotypen, die sie überwinden wollen, zu verstärken.
  2. Die Projekte sind nachhaltiger, wenn die für die Nachwuchsförderung gewählten Punkte alle sozialen, kulturellen und interaktionellen Dimensionen einbeziehen.
  3. Bedeutung und Ansehen eines Faches spielen bei der Wahl eines MINT-Studiengangs eine grössere Rolle als die Kenntnisse oder das anfängliche Interesse der jungen Frauen für dieses Fach.
  4. MINT-Schülerinnen und -Studentinnen vergleichen die berufliche mit der sozialen Gleichstellung. Machen sie Erfahrungen mit Ungleichbehandlung, tendieren sie dazu, sich dafür die Verantwortung zu geben, was ihr Selbstvertrauen schwächt.
  5. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird in der Interaktion mit anderen konstruiert. Beispielsweise kann ein Stereotyp von Weiblichkeit durch die Distanz zu technischen und wissenschaftlichen Fächern definiert sein, oder Männlichkeit durch die Abwertung von Frauen und anderen Männern. Somit gilt es, dieses zugrunde liegende «Doing Gender» zu berücksichtigen.

Was ist in Anbetracht dieses Kontextes zu tun? Prof. Kosuch fordert alle Akteurinnen und Akteure auf, ihren Blick auf das Thema zu ändern und ihre «Genderbrille» aufzusetzen: Es gilt zu erkennen, an welchem Punkt das scheinbar Offensichtliche mit einer distanzierten Betrachtungsweise infrage gestellt werden kann, sich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Situationen bewusst zu werden, zu analysieren, was als normal betrachtet wird und was die Reaktionen, welche zur Norm werden, beinhalten. Generell empfiehlt sie, eine geschlechtersensible Haltung zu entwickeln und Genderfragen jenseits von Ideologie zu entdramatisieren. Ihrer Auffassung nach besteht das Ziel letztendlich darin, alle Potenziale zu fördern und Interaktionen unter Berücksichtigung von Vielfalt zu betrachten.

Referat Renate Kosuch (pdf)

Erfahrungsaustausch

15 Projektträger und -trägerinnen stellten ihre Praxiserfahrungen mit MINT-Initiativen für Mädchen und Frauen vor. Diese Initiativen sind häufig von kantonalen oder privaten Finanzierungen, v. a. über Stiftungen, abhängig. Alle an diesem Tag vorgestellten Projekte werden darüber hinaus vom EBG finanziert. Die Präsentationen deckten drei zentrale Punkte ab:

  • Ausserschulische Lernorte
  • Schulen, Lehrmittel und Beratungseinrichtungen
  • Arbeitswelt

Ausserschulische Lernorte

In den vergangenen Jahren wurde das Angebot an Aktivitäten für Mädchen im ausserschulischen Rahmen deutlich ausgeweitet. Daher konnten die Träger dieser Initiativen einen interessanten Rückblick der Vorzüge und Herausforderungen ihrer Aktivitäten vorstellen.

Nacheinander stellten sechs Projektverantwortliche ihre Bilanz vor. Ob es sich nun um FocusTech mit seinen Workshops Women in Science, Girls@HES der HES-SO Valais-Wallis, tüftlerin.ch, Les métiers techniques au féminin im Jura oder um Swiss TecLadies handelt – sämtliche Projekte haben eins gemeinsam: sie bieten Mädchen einen Rahmen, in dem sie sich für technische Tätigkeiten interessieren und diese ausüben können. Zudem werden aktiv Frauen in die Betreuung eingebunden, sei es als Auszubildende, Studentinnen oder Mentorinnen. Das ist eine Möglichkeit, die Rolle des Vorbilds, mit dem sich die Teilnehmerinnen identifizieren können, zu erfüllen. Das ICT Scouts/Camps wiederum bietet gemeinsame Aktivitäten an, mit einem Verhältnis Jungen/Mädchen von 1:1. Alle Projektträger stimmen darin überein, dass der Praxis sowie der Durchführung spielerischer und konkreter Aktivitäten in einem vorurteilsfreien und für Entdeckungen günstigen Umfeld grosse Bedeutung zukommt.

Schulen, Lehrmittel und Beratungseinrichtungen

 

Natürlich spielt die Schule bei der Sensibilisierung für die MINT-Themen und den beruflichen Entscheidungen der Mädchen eine wesentliche Rolle. An technische Bereiche gekoppelte Geschlechterstereotype sind häufig bereits zum Zeitpunkt der Berufswahl fest verankert. Deshalb zielen Ansätze wie der von Prof. Francesco Mondada von der EPFL vorgestellte Roboter Thymio darauf ab, Technik so früh wie möglich in den Lehrplan einzubinden. Die Einführung der Informatik in die Grundschule läuft derzeit und stellt nach Darstellung der Rednerinnen und Redner einen wichtigen Schritt bei der Ausbildung von MINT-Kompetenzen dar.

Die Lehrkräfte stehen ebenfalls im Mittelpunkt mehrerer bei der Tagung vorgestellter Projekte. Die Initiative «Frauen und MINT an Luzerner Gymnasien» hat z. B. Weiterbildungen für 150 MINT-Lehrkräfte an den acht Gymnasien des Kantons entwickelt. Zudem werden die Unterrichtsmaterialien analysiert, um Geschlechterstereotype zu beseitigen. Nadine Wenger von der Universität Basel stellte dies in ihrer Untersuchung des Kursbuchs «Physik für Mittelschulen» vor. Mit dem Projekt «Förderung der ICT-Berufswahl von Mädchen» der FHNW war auch das Thema Berufswahl vertreten.

Arbeitswelt

Nach der Darstellung der Möglichkeiten, Mädchen zum Ergreifen eines technischen Berufs zu ermutigen, betraf der nächste Bereich des Erfahrungsaustauschs logischerweise ihren Eintritt in den Arbeitsmarkt. Es stellt sich also die Frage, wie Frauen, die ihre Karriere in diesen hauptsächlich männlich geprägten Bereichen beginnen, gefördert werden können. Durch eine Kombination von Schulungen, Coaching, Mentoring und Kommunikation zielen die Projekte «Kulturwegweiser III» der Schweizerischen Vereinigung der Ingenieurinnen (SVIN), FemInno Life Science, «Berufsfrauen im Umweltbereich» und «Gendergerechte Entwicklung der Umweltberufe» der FachFrauen Umwelt darauf ab, die Bedingungen zur Ausübung ihres Berufs und die Karriereperspektiven für die Frauen zu verbessern. Diese Sensibilisierungsarbeit betrifft nicht nur die Frauen, sondern die gesamte Unternehmensorganisation, angefangen bei den Führungskräften und Vorständen.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die Notwendigkeit, die Auswirkungen der verschiedenen Programme und Projekte auf den Anteil von Studentinnen in den Hochschulen und den technischen Berufen zu messen, war ein zentraler Punkt der Diskussionen. Während jeder Projektträger eine bemerkenswerte Distanz zu seinen eigenen Aktivitäten hat, fehlen zuverlässige Indikatoren, um die Gesamtauswirkungen und den Return on Investment der Förderungsprogramme für die Berufswahl junger Frauen zu beziffern. Prof. Renate Kosuch stimmt dem voll und ganz zu. Sie verweist darauf, dass die verfügbaren Zahlen zeigen, dass der Frauenanteil in den technischen Berufen langsam, aber regelmässig steigt. Als Beispiel erwähnt eine Teilnehmerin die Statistiken der ETH über den Anteil der Studentinnen in den technischen Fächern wie beispielsweise Maschinenbau. In diesem Bereich stieg der Frauenanteil von 1 bis 2 % in den 1980er Jahren auf knapp 10 % heute.

In einem Punkt waren sich alle einig: Der Weg ist noch weit und das Thema betrifft nicht nur die Fachkräfte der Berufsbildung und Berufsberatung, sondern es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

Rolf Hügli dankte zum Abschluss der Tagung für die hochwertigen Redebeiträge. Darüber hinaus bedankte er sich herzlich bei Béatrice Miller, die nach vielen Jahren des Einsatzes für die MINT-Nachwuchsförderung die SATW verlässt.

Im Einklang mit ihrer Aufgabe der Dialogplattform kündigte die SATW an, weiterhin für die Fortführung der Diskussionen zur Verfügung zu stehen und die Akteurinnen und Akteure ihrem Bedarf entsprechend einzuladen.

Für 2020 steht schon der Termin für eine neue nationale Tagung zum Thema Bildung fest, die in Zusammenarbeit mit dem Service de promotion des études der EPFL organisiert wird. 

Auskunft

 Edith Schnapper

Edith Schnapper

Leiterin Nachwuchsförderung