Corona wirkt als Booster für die Point-of-Care-Diagnostik

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Die neu entwickelten sogenannten Schnelltests oder Antigentests zum Nachweis einer Corona-Infektion sorgen für kontroverse Debatten: Einerseits werden sie als signifikanten Fortschritt in der Pandemiebekämpfung angepriesen, andererseits haben sie vor allem in Bezug auf Zuverlässigkeit und Sensitivität einen schlechten Ruf. Wie immer bewegt sich die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte.

PCR-Tests als der unbestrittene Goldstandard und Schnelltests als Alternative

PCR-Tests dominierten bis anhin klar die Teststrategie und die täglichen Schlagzeilen in der Presse. Der PCR-Test weist eines oder mehrere Fragmente aus dem Erbgut des Coronavirus nach und wird in Bezug auf seine Zuverlässigkeit als Goldstandard angesehen, weist er doch dank seines Funktionsprinzips und den hohen Qualitätsanforderungen eine analytische Spezifität von nahezu 100 Prozent auf. Allerdings ist der Test wegen der unterschiedlich gehandhabten Festlegung des Schwellenwerts bzw. der Zykluszahl zum Gesprächsthema unter Fachleuten geworden. Zudem dauert es 24 Stunden oder länger, bis das Ergebnis vorliegt – in Phasen exponentieller Fallzunahmen eine halbe Ewigkeit. Abhilfe schaffen sollen PCR-Schnelltests, die momentan von verschiedenen Herstellern entwickelt werden und die ein Ergebnis innerhalb von drei Stunden versprechen.

Bereits auf dem Markt sind die sogenannten Antigen-Schnelltests. Diese weisen im Gegensatz zu PCR-Tests kein Erbmaterial, sondern Proteine des Virus nach. Allerdings müssen für ein positives Ergebnis deutlich mehr Viruspartikel im Nasen-Rachenraum vorhanden sein als für einen Nachweis mit dem PCR-Test. Es besteht somit die Gefahr, dass Infizierte nicht erkannt werden («Falsch-Negative»). Dafür liegt das Testergebnis bei den Schnelltests wie bei einem Schwangerschaftstest innerhalb weniger Minuten vor. Zudem sind sie preiswert – 3 bis 5 Franken für einen Test gegenüber 100 bis 200 für einen PCR-Test – und können dezentral, also in Apotheken, bei Hausärzten oder von der Spitex, durchgeführt werden, da keine Laborausrüstung benötigt wird. Genau dank dieser Vorteile der Point-of-Care-Diagnostik, also der Diagnostik vor Ort, sind die Schnelltests eine wertvolle Ergänzung zu den PCR-Tests.

Die Schnelltests noch näher an den Ort des Geschehens bringen

In der Startphase werden Schnelltests in Arztpraxen, Spitälern, Testzentren und Apotheken von geschultem Personal durchgeführt. Um ihre volle Effizienz in der Pandemiebekämpfung zu entfalten, müssten die Schnelltests allerdings noch näher an den Ort des Geschehens, also zu Corona-Verdachtsfällen, kommen. Ein stufenweises Vorgehen könnte Abhilfe schaffen: Es ist naheliegend, dass Pflegefachpersonen der Spitex, mobile Krankenschwestern oder Medizinische PraxisassistentInnen zu Hause bei den Patientinnen und Patienten Schnelltests durchführen könnten, zumal ja medizinische Kenntnisse bereits vorhanden sind. Die Ultima Ratio aber ist der Selbsttest. Für diesen Idealzustand braucht es aber einen Kulturwandel. Die Menschen werden in nicht allzu ferner Zukunft mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen müssen. Um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, müssen wir uns Fertigkeiten wie die Durchführung eines Selbsttest aneignen. Online-Anbieter wie Galaxus oder Zur Rose haben die Kapazitäten, solche Schnelltests zu verkaufen. Mit dem Smartphone kann das Testresultat dokumentiert und der Contact-Tracing-Stelle übermittelt werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die meisten Menschen mehr können, als sie sich zutrauen und als ihnen zugetraut wird. Die Vorteile eines solchen Vorgehens liegen auf der Hand: Es kann schnell und breit getestet werden, was vor allem wichtig ist, um mögliche Cluster früh zu erkennen und zu erfassen. Zudem können die Schnelltests auch präventiv eingesetzt werden, beispielswiese zum Schutz der Risikopersonen in Alters- und Pflegeheimen oder zum Verhindern von Superspreading-Events.

Diese Zukunftsvision wird im Moment von vielen Experten kategorisch abgelehnt. Aus Erfahrung wissen wir aber, dass alle Technologien Lebenszyklen durchlaufen. Während ihrer Reifung verbessert sich die Qualität, sie werden einfacher in der Handhabung und erst noch billiger. Schnelltests spielen im Dreiphasenmodell zur Pandemiebekämpfung (Tracen, Testen und Isolieren) in der Testphase eine wichtige Rolle: Auch wenn sie nicht den Qualitätsstandard der klassischen PCR-Tests erreichen, erhöhen sie die Testkapazität markant, verhindern langes Warten auf Testergebnisse und tragen somit dazu bei, Infizierte schnell und breit zu identifizieren, sodass Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie angeordnet werden können. Das Testen ist ein wichtiger Teilprozess zur Eindämmung der Pandemie. Der andere Teilprozess umfasst die Datenerfassung, -übermittlung und -auswertung. Obwohl wir alle überzeugt sind, im Zeitalter von Big Data oder Künstlicher Intelligenz angekommen zu sein, haben wir auf diesem Gebiet die grössten Defizite zu beklagen. Es braucht das orchestrierte Zusammenspiel der Akteure in den Sphären Wissenschaft und Technik, Wirtschaft sowie Recht und Gesellschaft.

 


SATW und Covid-19

Covid-19 wird uns noch eine Weile beschäftigen. Die zweite Welle der Pandemie hat die Schweiz erreicht und es wird den Einsatz von uns allen brauchen, um den Winter gut zu überstehen. Auch Technologie kann und soll ihren Beitrag leisten und die SATW agiert dabei als «Honest Information Broker». Deshalb haben wir www.satw.ch/covid-19 aufgebaut. Auf dieser Webpage finden Sie Beiträge von ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus unserem Netzwerk zu technischen Themen und Covid-19 – wie derjenige von Daniel Gygax zu Schnelltests. 

Technology Outlook

Daniel Gygax ist auch Autor für den Technology Outlook 2021, der im kommenden Frühjahr zum vierten Mal erscheinen wird. Der Technology Outlook ist der Früherkennungsbericht der SATW, der neue disruptive Technologien präsentiert und deren Kompetenz in der Schweiz sowie deren volkswirtschaftliche Bedeutung bewertet.