Big Data, Big Business, Big Brother

Digitalisierung 18:00

Am 17. September 2020 fand - bedingt durch COVID-19 nach längerem Unterbruch - wieder mal ein TecToday statt. Die Expertinnen und Experten sprachen darüber, wie Daten den Arbeitsplatz verändern, und plädierten für einen emanzipierten Umgang mit Technologien.

Am 17. September 2020 fand wieder mal ein TecToday statt. Die Expertinnen und Experten sprachen darüber, wie Daten den Arbeitsplatz verändern - ein Thema, das auch wegen Covid-19 weiteren Schub erfuhr. Dabei plädierten sie für einen emanzipierten Umgang mit Technologien.

SATW-Generalsekretär Rolf Hügli begrüsste die Anwesenden. «Ist Big Data nun Big Business oder Big Brother?» Diese und andere Fragen werde man am heutigen Abend diskutieren. Wie beim letzten TecToday in Zürich, der bedingt durch COVID-19 bereits länger zurücklag, führte Karin Frei gewohnt souverän durch den Abend.

Unterscheidung in Gut und Böse

In ihrem Inputreferat gewährte Prof. Antoinette Weibel von der Universität St. Gallen Einblicke in ihr Forschungsprojekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 75 Big Data. Sie untersucht, wie Schweizer Unternehmen Datafizierungs-Technologien im HR einsetzen und welche Auswirkungen dies hat, z.B. auf die Zufriedenheit des Personals. Hauptsächlich nutzen die befragten Unternehmen Big-Data-Anwendungen für die Mitarbeiterbindung. Es folgen Leistungsmessung sowie Personalselektion und -rekrutierung, die seit einigen Jahren grossen Zuspruch erfahren. Antoinette Weibel machte deutlich, dass es wichtig sei, zwischen «guten» und «bösen» Anwendungen zu unterscheiden. Also zwischen solchen, die einen positiven Nutzen bringen wie etwa Kollaborationsplattformen und jenen, die helfen sollen, Mitarbeitende wie Zitronen auszupressen. Bedenklich seien etwa Überwachungssoftwares wie «Time Doctor», die in regelmässigen Abständen Videos vom Bildschirm eines Mitarbeiters machen und mittels Webcam überwachen, ob er davor sitzt. Auch ein IT-gesteuertes Gesundheitsmanagement sei kritisch, wenn z.B. alle Mitarbeitenden mit Fitbits ausgestatten werden.

Leistungsüberwachung habe in vielen Bereichen Tradition, so etwa im Call Center. Allerdings eigne sich dies nur für einfache Jobprofile und es bestehe die Gefahr von Unmut und Vertrauensverlust seitens der Angestellten. Eine Gefahr aus Arbeitgebersicht sei, dass findige Mitarbeitende das System austricksen könnten. Vielleicht auch ein Grund, warum es häufig an Partizipationsmöglichkeiten und Transparenz mangelt? Jedenfalls zeigen die Erhebungen von Antoinette Weibel und ihrem Team, dass Mitarbeitende oft nur ungenügend informiert werden, was genau gemacht werde. «Wichtig wäre auch, dass es wirklich freiwillig ist. Allerdings reicht es nicht, wenn die Einwilligung einmalig eingeholt wird, da sich Technologien laufend weiterentwickeln.» Wer solche Mittel einsetze, sollte dies vertrauensvoll tun. Dazu gehöre eine aktive Auseinandersetzung mit dem Design, Transparenz und die Möglichkeit zur Mitgestaltung seitens Mitarbeitende sowie der Einbezug wichtiger Stakeholder wie Legal oder Gewerkschaften. Der Arbeitgeber habe da eine moralische Verantwortung.

Im Spannungsfeld von Produktivität und Privatsphäre

Dass es zu differenzieren gilt, machte auch die Podiumsdiskussion deutlich. So warnte Daniella Lützelschwab, GL-Mitglied beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, vor Pauschalisierungen. Solche Technologien seien Teil der Digitalisierung, welche die Arbeit nun Mal verändere. Die meisten Instrumente seien unbedenklich, solange sie für ihr Ziel, die Optimierung und Vereinfachung der betrieblichen Abläufe eingesetzt werden. Arbeitgeber die glauben, sie müssten ihre Mitarbeiter rund um die Uhr überwachen, hätten vermutlich noch ganz andere Vertrauensprobleme. Insbesondere in Zeiten, in denen die Wissensarbeit stark zunehme. «Den Unternehmen geht es nicht darum, die Mitarbeitenden zu überwachen.» Andererseits müsse der Arbeitgeber bei Fehlverhalten reagieren: «Wenn jemand ständig zu spät kommt, verletzt er die betrieblichen Weisungen. Schaut ein Arbeitgeber dann einfach weg, demotiviert er auch die übrigen Mitarbeitenden, welche sich korrekt verhalten. Es ist eine Führungsaufgabe, dies zu adressieren.»

Beunruhigt zeigte sich Kurt Stockinger, Professor für Informatik an der ZHAW und ebenfalls Leiter eines NFP-75-Projekts. Technologisch sei es heute möglich, Personen komplett zu überwachen, z.B. mit Keystroke-Analysen. Man sollte Big Data aber nicht dafür einsetzten, sondern besser, um etwa die Gesundheit zu verbessern. Auch sei empirisch belegt, dass Menschen besser arbeiten, wenn sie mehr Freiheiten haben. Dr. Dominika Blonski, Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich, gab zu bedenken, dass es illegal sei, Mitarbeitende komplett zu überwachen. «Arbeitgeber dürfen dies nur soweit tun, wie es für die Arbeit notwendig ist. Man darf z.T. zwar Leistung überwachen, nicht aber Verhalten. So ist etwa umfassende Videoüberwachung unzulässig.» Zudem würde das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und -nehmer leiden, was doch im Zentrum stehen sollte. Dem stimmte Ethiker Dr. Markus Christen, Geschäftsführer der Digital Society Initiative der Universität Zürich und der dritte Leiter eines NFP-75-Projekts auf dem Podium, zu. Er plädierte ebenfalls für vermehrte Transparenz und Mitwirkung der Angestellten. «Aber interessiert sie das überhaupt?», wollte Karin Frei wissen. «Ist das nicht wie bei den AGBs, die man ungelesen akzeptiert?» Antoinette Weibel widersprach: «Da geht es ans Eingemachte. Das betrifft einen direkt, damit setzt man sich auseinander.»

Big Data als Entscheidungshilfe – nicht ohne Tücken

In Bezug auf Künstliche Intelligenz, die grosse Datensätze auswertet, herrschte Uneinigkeit über den jeweiligen Einfluss der Trainingsdaten sowie des Designs selbst. Kurt Stockinger bezeichnete Algorithmen als «wertfrei» und legte den Fokus auf die Daten. Markus Christen gab hingegen zu bedenken, dass Design-Entscheidungen ebenfalls wichtig seien. Ein Problem sei, wenn zig Datenpunkte erfasst und in einen Score überführt würden, ohne dass man genau wisse, wie dieser zustande komme. Immerhin würden allfällige Bias durch die Nutzung der Algorithmen sichtbar, worauf dann reagiert werden müsse. In diesem Zusammenhang wurde das Beispiel einer diskriminierenden KI zur Rekrutierung bei Amazon genannt. «Besteht nicht das Problem, dass man bei der Personalselektion mittels KI immer gleichförmiger wird?» fragte Karin Frei. Antoinette Weibel bestätigte indirekt: Es sei schwierig dem Algorithmus beizubringen, dass auch ein krummer Lebenslauf interessant sein könne. Mehr Gleichförmigkeit anzustreben sei besonders bei Wissensarbeiten dumm, denn da wolle man ja Kreativität und Vielfalt.

Was die Nutzung von Big Data für strategische Überlegungen betrifft, sieht Kurt Stockinger kein Problem bei Entscheidungen, die auf Zahlen basieren. Hier helfe der Computer. Er warnte aber vor «Optimierung bis zum Erbrechen. Bis man vom Algorithmus gefeuert wird.» Solche Beispiele gebe aus Indien und den USA. Markus Christen warnte vor Verzerrungen der Realität und schlechten Entscheidungen, wenn man andere Informationskanäle vernachlässige und nur noch datenbasiert entscheide. «Was ich auf dem Schirm sehe, ist nur ein Ausschnitt. Und der wird dadurch geprägt, wie die Daten visualisiert sind. Das kann Entscheidungen massgeblich beeinflussen, vor allem wenn es schnell gehen muss.» Antoinette Weibel sieht in Big Data auf strategischer Ebene eine Entscheidungshilfe in einer immer komplexeren Welt. Für den Mitarbeitenden sei es aber häufig anders: «Die Maschine hat nie unrecht. Das führt zu interessanten Dynamiken.»

Plädoyer für einen emanzipierten Umgang mit Technologien

Ob die Gefahr besteht, dass Firmen zu stark den Tools vertrauen? Solche Bedenken hat Daniella Lützelschwab nicht. Firmen würden die Instrumente auswählen, die ihnen nützen und grosse Firmen beteiligen sich sogar an der Entwicklung. Man dürfe die Technologien nicht schlechtreden. Es sei klar, dass das Zusammenwirken von Mensch und Maschine die heutige Arbeitswelt präge. So plädierte auch Antoinette Weibel für einen emanzipierten Umgang mit Technologien. Markus Christen gab zu bedenken, dass Überwachung vornehmlich bei niederschwelligen Arbeiten zum Zug komme und bei Mitarbeitenden, die womöglich weniger informiert und emanzipiert seien. Hier gelte es aufzupassen. Dominika Blonski erwähnte diesbezüglich Verbesserungen beim Datenschutz, die von der Revision der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung zu erwarten seien. Auch auf kantonaler Ebene habe man mit dem Verfügungsrecht neue rechtliche Mittel zur Hand. Schliesslich erwähnte Kurt Stockinger die Selbstregulierung: «Wenn ein Unternehmen unzulässige Überwachung praktiziert, spricht sich das herum und dann finden die keine Mitarbeitenden mehr.»

Auskunft

Beatrice Huber, Head of knowledge and technology transfer NRP75, beatrice.huber@satw.ch